Donnerstag, 4. September 2008

Modellbahn als Kunst ?

Was es alles gibt. Neulich über folgendes Essay gestolpert: http://www.ferrook-aril.de/design/design_kunst.php (Edit Sep. 2009: Der Link ist leider nicht mehr öffentlich, sondern nur noch dort registrierten Interessenten zugänglich). Aussage des Essays: "Eine Modellbahn-Anlage kann sehr wohl ein Kunstwerk sein und der Erbauer demnach ein Künstler". Dem Verfasser erstmal Respekt dafür, dass über den kleinen Modellbahn-Tischrand hinaus weitergehende Gedanken geäussert werden.
Nun, auch ich bin gern Modellbahner, aber: Warum Bratkartoffeln als Nouvelle Cuisine verkaufen? Ich glaube, Begriffe wie Kitsch, Kunst und Handwerkskunst sollten auseinandergehalten werden. Jedenfalls ging mir beim Lesen dieses Essays folgendes durch den Kopf:

1. Kunst erschöpft sich nicht in der blosen Nachahmung der Realität (sonst wäre jedes Urlaubsfoto von Tante Anneliese auch Kunst). Eine Modellbahn aber ist genau das, und sie gilt im allgemeinen als umso "besser", je perfekter die Abbildung der Realität gelungen ist. Damit bewegen wir uns aber nur auf der Ebene des klischee-haften Zitierens. Kunst dagegen ist, in Anlehnung an Adornos ästhetische Theorie, das "Nicht-Identische"; erst dadurch mag ihr die ästhetische Codierung des Vorhandenen überhaupt gelingen. Oder überspitzt: ein einfaches Gleisoval einer Anfängerpackung, komplett in lila angetrichen und Kopf-über an die Decke genagelt, stellt so gesehen mehr "Kunst" dar als jede noch so detailgetreue Super-Anlage.

2. Kunst hat nicht die Aufgabe, "schön" zu sein, oder zu "gefallen". Das galt vielleicht zu Zeiten der alten Maler, doch da war auch das Kunstverständnis ein anderes (Wehe, das Porträt gefiel dem König nicht....). Aber wir leben im 21. Jahrhundert. Eine kubistisch-zerbröselte Skulptur von Picasso ist ja nicht in dem Sinne "schön". Die Frage ist doch: Welche (gesellschaftliche) Geltung hat ein Werk zu einer bestimmten Zeit, und warum. Erst durch den Kontext wird ein Werk zum Kunst-Werk.
Natürlich ist es jedem unbenommen, sich hinstellen und sagen: "So, das ist jetzt Kunst....". In der öffentlichen Wahrnehmung jedoch gilt eine Modellbahn, selbst wenn sie noch so ambitioniert ist, entweder als privates Hobby, oder bestenfalls als Touristen Attraktion ala Miniatur Wunderland. Ich lass´ mich ja gern korrigieren - aber von einer Modellbahnanlage als "Kunstwerk", oder einem Modellbahner als "Künstler" habe ich bis dato noch nichts gehört oder gesehen.
Obwohl, wer weiss, vielleicht kommt ja mal wer auf den Trichter:
RAUMINSTALLATION
BR 01, Metall auf Schotter, Museum of Modern Art, New York
Oder so ähnlich.

3. Kunst definiert sich nicht durch "handwerkliche Qualität". Schliesslich steckt in jedem "röhrenden Hirsch", rein handwerklich gesehen, mehr malerisches Können als z.B. in einem hingeschmierten Fettfleck von Joseph Beuys. Wo also Kunst Raum für Interpretation darstellt oder gar die Manifestation eines Zeitgeistes, beschränkt sich der Kitsch auf die Wiederholung (oder Verniedlichung) dessen, was bereits geläufig ist. Sozusagen der Beipackzettel fürs einfache Gemüt. In diesem Sinne sind die 2 v*ö*g*e*l*n*d*e*n Preiserlein auf der Modellbahn, das detailgetreue BW Diorama, der vorbildgerechte "Bahnbetrieb" oder die super realistische Felspartie nur perfektionierter Kitsch, allenfalls gut gemachte "Handwerks-Kunst".

4. Kunst ist nicht retrospektiv. Das ist ja auch der Unterschied zwischen "historisch" und "historisierend". Dieses "Historisierende" ist aber bei vielen Modellbahn-Anlagen dominierend, gerade bei denen, die als "gut gemacht" gelten. Stimmt auch das Signal da hinten links? Passt dieser Wagon zu jener Lokomotive? Mit Kunst hat das nichts zu tun. Oder anders: Eine Band, die heute Elvis covert (oder in der Sprache der Modellbahner: Epoche 3), und mag sie dies auch noch so handwerklich überzeugend tun, ist in ein paar Jahren vergessen. Elvis dagegen ist Geschichte.

Fazit:

Kunst

Nix da Kunst. Ich will Spiel, Spass und Basteln, dazu 2 Pfund Kitsch und ´ne Prise heile Welt. Soll heissen: Modellbahn ist ein nettes Hobby, dem ich mit Vergnügen nachgehe, wenn ich mal ein paar Stunden abschalten will. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Dafür schätze ich im übrigen auch Gleispläne und Anlagenentwürfe nach der Philosophie, wie es der Verfasser des zitierten Essays andernorts sehr kompetent und lesenswert vertritt; und natürlich schau´ auch ich mir gern eine "gut gemachte" (meinethalben: gut designte) Anlage an. Aber wenn ich "Kunst" machen wollte, nee, da würd´ich sicher was anderes machen als ausgerechnet ´ne Modellbahnanlage zu bauen.....

PS: Nein, ich werd´ mir meine kleine Modelleisenbahn nicht lila anmalen.
PS 2: Für ein paar anständige Bratkartoffeln bin ich immer zu haben....